Verein plant Ende seiner Arbeit

Am 26. April, dem 37. Jahrestag der Reaktorkatastrophe, trafen sich die Mitglieder unseres Vereins zur jährlichen Mitgliederversammlung. Dabei vernahmen die Versammelten nicht nur den Bericht des 1.Vorsitzenden, Heinrich Korn, und des Finanzreferenten, Alfred Merkle, sondern diskutierten auch die Zukunft des Vereins. Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten bei der Humanitären Hilfe wie bei der Besetzung wichtiger Vereinsämter beschlossen die Mitglieder schweren Herzens, nicht weiter um Spenden zu bitten und die Tätigkeit des Vereins Ende 2024 einzustellen. Folgende Gründe wurden genannt:

  1. Entwicklung nach Kriegsbeginn. Schon im Herbst-Spendernfo wurde darüber informiert, dass unsere Arbeit durch die immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen auf politischer Ebene massiv erschwert ist. Als Folge des Krieges in der Ukraine ist der belarussische Staat näher an Russland gerückt; die russische Armee nutzt Belarus als Aufmarschgebiet im Krieg gegen die Ukraine. Belarus hat die Arbeit vieler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus dem Ausland verboten. Die humanitäre Hilfe ist zwar nicht direkt betroffen, die bürokratischen Hürden für Hilfsaktionen wurden aber dennoch erhöht. Das nach der Reaktorkatastrophe gebildete Tscher­nobyl-bzw. Notstandsministerium, das für die humanitäre Hilfe zuständig war, wurde aufge­löst. Und als Reaktion auf die Sanktionen der Europäischen Gemeinschaft erklärte Belarus 2022 Deutschland zu einem „unfreundlichen Staat“.
  2. Medikamentenlieferung nicht gestattet. Wir planten seit 2021 eine Medikamentenlieferung für die Kinderkrebsstation in Gomel, die wir seit fast 30 Jahren unterstützten. Für die von dort angefragten Medikamente übersandten wir den Behörden die üblichen Papiere. Es gab ein langes Hin und Her, immer neue Unterlagen wurden gefordert – zuletzt Fotos der Pakete. Letztlich wurde uns Ende Januar 2023 die Einfuhrlizenz verweigert. Da das Ablaufdatum einiger Präparate in diesen Wochen abläuft, entschlossen wir uns, sie einer Klinik in der Ukraine zu spenden. Anfang Mai kamen sie in der Klinik für Kriegsverletzte in Kolomea an.
  3. Modell Nadeshda ernsthaft bedroht. Das Kindererholungszentrum Nadeshda ist seit 1992 ein deutsch-belarussisches Gemeinschaftsunternehmen – von uns stets maßgeblich unterstützt. Seine Arbeit wird geschätzt, auch vom Staat. Der Erfolg beruht auch auf der Verteilung der Geschäfts­anteile: Den „Freunden Nadeshdas in Deutschland e.V.“, die anfangs den Großteil der Investitionen bezahlt haben, gehören derzeit 51 Prozent, dem Staat 24,1 Prozent und dem weißrussischen Verein „Lebendige Partnerschaft“ 24,9 Prozent. Wichtige Entscheidungen wurden stets im Einvernehmen getroffen. Nun fordern Staatsvertreter der Gebietskörperschaft Minsk die Mehrheit. Seit sieben Jahren bieten die deutschen und belarussischen Partner an, die Anteile 45:45:10 neu zu verteilen. Dieses Angebot wird noch diskutiert.
    Seither schwelt auch ein Streit über das neue fertiggestellte Gesundheitszentrum mit Hallenbad. Behörden blockieren dessen Inbetrieb­nahme.Zudem werden seit zwei Jahren deutsche Zuschüsse zu Investitionen abgelehnt. All dies bedroht das Modell Nadeshda sehr. Eine Enteignung ist nicht ausgeschlossen.

     

    Vertreter unseres Vereins 2016 bei der Einweihung der 600 kw-Anlage

    Seit letztem Sommer ist die eigentlich unbefristet geltende Einspeisungsvergütung für den Solarstrom der großen Fotovoltaik-Anlage von Faktor 1,7 auf 0,45 gekürzt worden. Die Einnahmen aus der Stromproduktion halfen bisher, das Betriebsergebnis des Zentrums zu verbessern und Defizite auszugleichen. Eigentlich war vorgesehen, dass der selbstverbrauchte Strom 1:1 vegütet wird. Das EU-Embargo gegen Belarus führt aber dazu, dass die dafür notwendigen Messeinrichtungen nicht geliefert werden dürfen. So wurde aus einem gewinnbringenden, ökologisch vorbildlichen Projekt ein Verlustgeschäft.
    Auch sonst ist durch die EU-Sanktionen und den Krieg vieles noch schwieriger geworden, etwa Geld­überweisungen. Reisen nach Gomel, nur 50 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, sind mit einem Risiko verbunden. So gab es in letzter Zeit kaum noch persönliche Begegnungen mit unseren Partnern vor Ort.

  4. Der „alte“ und neue Vorstand v.l.n.r.: 1. Vors. Heinrich Korn und Finanzrefernt Alfred Merkle sind ausgeschieden, Neu: 1. Vors. Christoph Rau und Finanzreferent Wolfgang Schörner. Auf dem Bild fehlt: Klaus Wagner, 2. Vors.

    Interne Situation: Hinzu kommt, dass unser Verein vor allem aus Menschen besteht, die 25 und mehr Jahre die Hilfsaktion getragen haben. Einige sind seit den Anfängen 1989 dabei. Aus Altersgrün­den verlieren wir Mitglieder und Unterstützerinnen und Unterstützer. Heinrich Korn als Vorsitzender und Alfred Merkle als Finanzreferent sind nach langen Jahren aus dem Vorstand ausgeschieden.
    Es erwies sich als unmöglich, neue, jüngere Mitglieder für die Vorstandsarbeit zu gewinnen. So wurde am 26.4.Christoph Rau, der bisherige Stellvertreter, zum ersten Vorsitzenden gewählt, zweiter Vorsitzender wurde Klaus Wagner, der seit 1994 aktiv im Verein dabei ist und weiter die Öf­fentlichkeitsarbeit betreut. Neuer Finanzreferent wird Wolfgang Schörner.

  5. Unsere Befürchtung. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Beziehungen und die Möglichkeiten für Hilfeleistungen nicht wieder zum früheren Status zurückentwickeln. Wir befürchten, dass unser Vereinsziel, Hilfe für tschernobylgeschädigte Kinder in Belarus zu leisten, nicht länger zu erreichen ist.Wir bitten daher nicht mehr um Spenden. Wir werden unsere Arbeit vermutlich Ende 2024 einstellen.

    Wenn Ihnen die Arbeit mit Kindern in Belarus am Herzen liegt, können Sie andere, befreundete Organisationen unterstützen:
    Leben nach Tschernobyl e.V.. Dieser Verein ist Hauptträger der „Feunde Nadeshdas Deutschland“. (Wir werden bei den Freunden bis zum Ende unserer Tätigkeit mitarbeiten.)
    60487 Frankfurt am Main, Ludolfusstraße 2-4,Tel. 069-70 76 03-17
    Spendenkonto: DE03 5206 0410 0004 1144 00
    – OstEuropaHilfe e.V. Der Verein engagiert sich seit langem für Menschen in Belarus und der Ukraine. Er übernahm auch schon Transporte für uns. Kontakt: Manfred Schlögl, Nelkenweg 15, 85586 Poing, www.oeh-poing.de
    Spendenkonto DE97 7025 0150 0027 9517 63.

  6.  Letzte Aktivitäten. Uns liegen die Kinder von Tschernobyl aber weiter am Herzen. Daher stellen wir unsere Hilfe nicht abrupt ein. Wir verfügen noch über Spenden – und wir wollen diese Mittel zeitnah dort einsetzen, wo es noch möglich und sinn­voll ist; längstens bis Frühjahr 2025.
    So sehen wir vor, 2023 und 2024 wie bisher Erholungsfreizeiten in Nadeshda zu finanzieren, besonders auch die der Elterninitiative in Gomel.
    Dort soll auch im Herbst diesen Jahres zum vierten Mal ein Deutschkurs für Jugendliche aus Wetka stattfinden, wenn es die Situation erlaubt mit persönlicher Beteiligung von uns.
    Außerdem helfen wir dem Gymnasium in Wetka, neu Lehr-und Lernmittel anzuschaffen.
    Bis Ende 2025 wollen wir auch die Stelle einer Psychologin auf der Kinderkrebsstation in Gomel finanzieren. All dies kann aber nur unter der Voraussetzung geschehen, dass staatliche Stellen diese Vorhaben nicht unmöglich machen.
    Wir sind sehr traurig über diese Entwicklungen.
    Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis für unsere Entscheidungen.
    Wir danken Ihnen für Ihre langjährige Unterstützung.
    Diese Zeilen sind weitgehend identisch mit dem Spenderinfo, das vom bisherigen Vorsitzenden Heinrich Korn unterschrieben und in diesen Tagen an unsere Unterstützer versandt wurde.

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